Pfifferlinge mit Cäsium – noms?

Am Wochenende gab es bei uns Nudeln mit frischen Pfifferlingen. Das allein wäre sicher keinen Beitrag wert – spannend ist jedoch, was ich nachträglich in den Pfifferlingen fand. Ich konnte das „berühmt-berüchtigte“ radioaktive Isotop Cäsium-137 (Cs-137) in den Pilzen nachweisen und die Aktivität bestimmen. Nach meinen Abschätzungen liegt diese deutlich unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte. Ich habe mich also weder radioaktiv verseucht, noch sind gefährlich strahlende Pilze im Einzelhandel aufgetaucht, wie das wohl im Jahr 2010 geschah.

Dass Wildfrüchte – auch aus einigen Gegenden Deutschlands – bisweilen noch heute Spuren der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl aufweisen können, ist bekannt. Einige der bei dem Reaktorunfall entstandenen Isotope sind langlebig und kommen auch heute noch in der Natur vor. Bei Cs-137 liegt die Halbwertszeit beispielsweise bei rund 30,2 Jahren. So lässt sich auch nach über 27 Jahren natürlich noch Cs-137 nachweisen. Im Essen sollte das üblicherweise nichts verloren haben. Und trotzdem fand ich Spuren dieses Isotops in meinem Sonntagsessen.

Die Pilze

Der Verpackung war zu entnehmen, dass die Pilze offenbar aus Russland stammten. Gekauft wurden sie beim hiesigen REWE-Supermarkt, als 400-Gramm-Packung in einem Holzkörbchen. Spuren von Erde und Moos sprachen zumindest optisch für wildgesammelte Ware. Das Ursprungsland kann für eine gewisse geographische Nähe zum Unglücksort von 1986 sprechen, konkret hängt das aber sicher vom Einzelfall ab. Denn die radioaktive Wolke verteilte sich in „Hotspots“ um Tschernobyl.

Erste Spuren

So war ich a priori auch eher skeptisch, dass sich da wirklich Cs-137 nachweisen lassen würde. Ich hatte bereits zuvor einmal heimische Pilze durchgemessen und konnte nichts nachweisen. Nach dem Essen fiel mir ein, einen Teil der Pilzpfanne in meinem Detektor zu messen, in der Gewissheit, dass sich bestimmt nichts nachweisen ließe.

Zu meiner vollkommenen Überraschung tauchte dann allerdings im Spektrum der Gammastrahlung, das ich aufnahm ein kleiner Peak auf – genau dort, wo Cs-137 zu erwarten ist, bei einer Gammaphotonen-Energie von rund 662 Kiloelektronenvolt (keV).

Obgleich der Verdacht sofort auf die Pilze fiel, ließ sich so natürlich nicht ausschließen, dass eine andere Zutat der Pilzsauce das Cäsium beitrug. Was tun? Schnell noch mal zum Supermarkt fahren und die letzte Packung Pfifferlinge kaufen, und das ganze systematisch angehen!

Pfifferlinge aus Russland – wie im Supermarkt erhältlich (400 Gramm für 2,99 €)
Pfifferlinge aus Russland – wie im Supermarkt erhältlich (400 Gramm für 2,99 €)

Vorbereitung der Pilze

Als erstes wollte ich versuchen, den Verdacht auf Cs-137 direkt an der Frischware zu bestätigen. Dazu wog ich 50 Gramm der Pilze ab, zerkleinerte diese und verpackte sie in eine Plastiktüte, um sie sauber und hygienisch in meinen Detektoraufbau einzubringen. Für die weitere Untersuchung trocknete ich den Rest (350 Gramm) der Pfifferlinge im Backofen. Das ausdünsten des Wassers lässt Cs-137 zurück und konzentriert es so künstlich auf. Damit sollte dann der Nachweis noch einfacher gelingen.

Pfifferlinge: 50 Gramm zerkleinert und in eine Plastiktüte verpackt.
Pfifferlinge: 50 Gramm zerkleinert und in eine Plastiktüte verpackt.

Zusammenfassung der Messung

Die so vorbereiteten Pilze wurden mit meinem Gamma-Spektrometer vermessen. Ich werde die Apparatur noch mal im Detail in einem folgenden Post beschreiben, daher hier nur die „CEO-Summary“ der Geschichte. Zum Einsatz kommt ein Szintillationsdetektor von Alpha Spectra, Inc, der einen 2″x2″-Zylinder aus Natriumjodid als Szintillator nutzt. Als „Treiber“ verwende ich einen Gamma Spectacular 1100A, der die von einem Photomultiplier elektrisierten Szintillationssignale in Audio aufbereitet; die Höhe der registrierten Pulse ist dann proportional zur Energie des registrierten Gamma-Photons.

Das Gammaspektrometer (nicht sichtbar) im Bleigehäuse (klar erkennbar). Vor der Bleiabschirmung ist der "Treiber" des Szintillationsdetektors zu sehen.
Das Gammaspektrometer (nicht sichtbar) im Bleigehäuse (klar erkennbar). Vor der Bleiabschirmung ist der „Treiber“ des Szintillationsdetektors zu sehen.

Danach kann per freier Software (Theremino MCA) ein Histogramm der Pulshöhen erhalten werden. Dies ist dann ein Spektrum der Gamma-Energien. In dem so erhaltenen Gamma-Spektrum lassen sich dann Häufungen bei bestimmten Energien ablesen. Dies sind die Fingerabdrücke der Zerfälle bestimmter radioaktiver Isotope. An der genauen Energieverteilung lässt sich ablesen, was in der untersuchten Probe vorliegt.

Um die Messapparatur von natürlich auftretender Hintergrundstrahlung abzuschirmen, wird der Detektor in eine ganze Menge Blei eingepackt, das Gammasstrahlung effektiv über einen weiten Energiebereich abdeckt. Insgesamt kommen bei mir fast 100 Kilogramm Blei – muss mal genau nachrechnen – zum Einsatz, dazu noch eine dünne Schicht Kupfer, um die im Blei entstehende Bremsstrahlung der Gammaphotonen zu blocken.

Das Ergebnis

Ich ließ das Spektrometer die Nacht über messen, um ein möglichst gutes Spektrum zu erhalten und möglichst viele Zerfälle zu erfassen. So betrug die Messdauer schließlich rund 13,2 Stunden. Zuvor hatte ich bereits ein Spektrum in der Abschirmung ohne jegliche Probe vorgenommen, um den genauen Einfluss der Hintergrundstrahlung zu ermitteln. Diese lässt sich nicht vollständig blockieren, und das Spektrum des verbleibenden Rest muss erfasst werden, um ihn von vermeintlichen schwachen Signalen zu trennen.

Nachfolgend sehr ihr – sehr quick and dirty – das Ergebnis. Ich liefere später schönere Graphen nach. Die horizontale Achse zeigt die Energie der registrierten Gammaphotonen in keV. Die vertikale Achse ist ein Maß für die Anzahl der registrierten Photonen pro Einheitszeit und Einheits-Photonenenergie. Je höher die Kurven, desto mehr Zerfälle wurden registriert. Beachtet, dass die Hochachse eine logarithmische Skala hat, zwischen den großen Teilstrichen ist jeweils ein Faktor 10. Die grüne Kurve ist der immer vorhandene Hintergrund, die rote Kurve die Messung mit den Pfifferlingen (50 Gramm) im Detektor.

Gammaspektrum des Hintergrunds (grün) und der Messung der Pfifferlinge (rot).
Gammaspektrum des Hintergrunds (grün) und der Messung der Pfifferlinge (rot).

Was sehen wir? Generell stimmen rote und grüne Kurve, also Hintergrund und Probensignal gut überein. In beiden Kurven ist ein deutlicher Anstieg um 1461 keV zu erkennen. Das ist das Signal des omnipräsenten Kalium-Isotops K-40, das den Großteil der natürlichen Strahlenbelastung hervorruft. Es kommt auch in euch vor. Zwei kleinere Peaks sind um 511 keV und bei 2614 keV zu erkennen; letzterer stammt von natürlich vorkommenden Thallium-208, der bei 511 keV von Positron/Elektron-Annihilierung. Diese Teilchenpaare entstanden zuvor durch Paarbildung aus hochenergetischer Umgebungsstrahlung. Die Peaks bei ganz niedrigen Gammaenergien (um 70 bis 80 keV) stammen aus dem zur Abschirmung verwendeten Blei. Dort reißen hochenergetische Gammaphotonen Elektronen in tiefen Schalen. Werden diese wieder aufgefüllt, entstehen die 70 – 80 keV-Photonen.

Das Cäsium-137

Der entscheidende Unterschied ist der Peak der roten Kurve (Pfifferlinge) bei 662 keV. Die grüne Kurve zeigt dort überhaupt keinen „Ausschlag“. Es handelt sich also um etwas, das mit den Pfifferlingen in den Detektor kam. Bei der besagten Energie strahlt Cäsium-137 seine Gamma-Quanten ab. Es gibt selbstverständlich auch weitere Elemente, die Isotope mit ähnlichen Zerfallsenergien haben, aber aus dem Kontext würde ich absolut sicher auf Cs-137 wetten. Ich habe also Reste vom Tschernobyl-Unglück in meinem Essen gefunden.

Eine Möglichkeit, diese Aussage zu bestätigen besteht darin, eine Messung mit einem genaueren Detektor vorzunehmen. Szintillationsdetektoren haben eine relativ große Halbwertsbreite, es kann also schwierig sein, die exakte Energie – die Mitte des Peaks – genau zu ermitteln. Ich verfüge leider nicht über die notwendigen Gerätschaften, könnte aber mal beim entsprechenden Institut der hiesigen Universität anfragen.

Habe ich mich vergiftet/verstrahlt?

Nein. Die Anzahl der zusätzlichen Zerfälle, die ich meinem Körper mit dem Verspeisen der Pilze zugeführt habe, ist minimal. Aus der Messung der 50 Gramm würde ich ganz grob abschätzen, dass eine Aktivität von – ganz grob – 40 Bq/kg Frischware vorlag. Das ist deutlich unter dem gesetzlichen Grenzwert von 600 Bq/kg Frischware. Für Pilze, die auf den europäischen Markt kommen, gelten Grenzwerte, wenn ich recht nachgelesen habe, von den oben erwähnten 600 Bequerel pro Kilogramm (Bq/kg) Frischware. Es sollten also nicht mehr als 600 Zerfälle pro Sekunde in einem Kilogramm Frischware auf Cs-137 zurückgehen.

Bei 200 Gramm verspeister Pfifferlingen habe ich mir hier insgesamt also nur um die 8 Bq zusätzlicher Zerfälle in meinen Körper geschleust. Das ist irrelevant im Vergleich zu anderen Nahrungsmitteln: Kaliumreiche Speisen wie Bohnen können K-40-Aktivitäten von bis zu 380 Bq/kg erzielen.

Die Tatsache, dass ich das Cäsium so eindeutig nachweisen konnte, liegt also nicht daran, dass soviel davon vorliegt, sondern daran, dass der Detektor einfach verdammt empfindlich und gut abgeschirmt ist.

Den exakten Aktivitätswert zu ermitteln ist deutlich komplizierter, weil ich dazu die Detektionseffizienz meines Detektors abschätzen muss – nicht alle ausgesendeten Gammaphotonen werden auch registriert. Dabei spielen verschiedene Effekte eine Rolle, deren Behandlung hier gerade den Rahmen dieses ohnehin schon langen Artikels sprengen würde.

Ich hab‘ noch was…

Ich habe schon an den entsprechenden Modellen zur Ermittlung der Aktivität gearbeitet und werde diese – zusammen mit weiteren Messungen – in einigen Folgeposts hier präsentieren. Mal sehen wie genau meine hier gemachte erste Aktivitätsabschätzung dann noch Bestand hat, oder ob ich mich grob vertan habe 🙂

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2 Antworten auf „Pfifferlinge mit Cäsium – noms?“

  1. Sehr interessante Messung. Glückwunsch. Wo hast du denn das Bleirohr her. Ich habe gerade ein Spektrometer mit einem 3″ in Arbeit und mus noch eine gute Bleiburg bauen. Kannst du mich informieren? Das wäre sehr nett.
    Gruss
    Klaus

    1. Lieber Klaus,

      die Bleiburg ist aus Dachdeckerblei gewickelt worden. Das lässt sich als Meterware kaufen, dann „einfach“ in Streifen der passenden Breite schneiden und um ein passendes Stück Rohr wickeln. Die Bleiziegel habe ich als „Anglerblei“ oder so ähnlich gekauft.

      Viele Grüße,
      Benjamin

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